Ein etymologischer Spaziergang
Haben wir uns nicht schon oft gefragt, wo bestimmte Redewendungen wie »Das ist ja zum Sozialisten erschießen« oder »Ein Käfer im Heu macht noch keine Jause« eigentlich herkommen? Oft liegt dahinter eine ganz einfache Erklärung, manchmal aber auch eine sehr komplizierte. Pawel Gurasijewitsch, der berühmte Sprachenforscher estnischer Herkunft, hat in seinen Erinnerungen »Ich stand auf Messers Schneide!« (Ullstein Tb. 43204, Berlin, 2004) das Geheimnis vieler Sprichwörter gelüftet. Hier sind im folgenden einige von ihnen vorgestellt.
»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«
Bei den alten Germanen, vor allem bei den niederdeutschen und
westfälischen Sippen, gab es in vorrömischer Zeit die Institution des
Abfells (ahd. Ümpel). Der Abfell war ein Zwilling, in einer
Neumondnacht geboren, dessen Bruder – nur männliche Nachkommen kamen
hierbei in Frage – in einer Stammesfehde gestorben war. Für einige Zeit
bekam der überlebende Zwilling, der Abfell, zum Trost zahlreiche
Vergünstigungen eingeräumt: Er durfte jede Nacht eine Frau seiner Wahl
zu Bette führen, so viel Met trinken, wie er konnte, und im Beisein des
Häuptlings Wind lassen. Dies alles um die Seele des Gestorbenen zu
besänftigen. Ein Jahr nach dem Tod des Geschwister allerdings mußte nun
der Abfell sich selbst vor den Palisaden des Dorfes entleiben. Daher:
Der Abfell fällt (stirbt) nicht weit vom Stamm (seiner Sippe).
»Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer«
Dieses Sprichwort geht auf zwei schwäbische Schneider zurück, die beide
im Stuttgart der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts tätig waren.
Hieronymus Sommer d.Ä. war bekannt für seine exzellenten und
passgenauen Gehröcke. Stolz trugen wohlhabende Bürger ihren »Sommer«
auf, die jedoch recht teuer waren. Sommers Konkurrent Gustav Schwalbe
und dessen Frau Wiebke versuchten nun, durch billig produzierte
Massenware die Kunden in ihre Schneiderei zu locken, womit sie auch
zeitweilig dank des sprichwörtlichen Geizes der Schwaben (»Eher ißt ein
Schwab seine Hand, als sie dir zu reichen«) Erfolg hatten. Bald jedoch
setzte sich wieder Qualitätsbewußtsein durch und die Stuttgarter
erkannten: Eine Schwalbe (Ehefrau Wiebke) macht noch keinen Sommer
(-Gehrock).
»Wer A sagt, muß auch B sagen«
Ist eine Verballhornung eines Schmähwortes auf den Münsteraner Fluß Aa.
Die Aa war besonders im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit als
dreckigster Fluß Deutschlands bekannt. Deshalb war allen klar: »Wer d’
Aa seiht (sieht), muß ooch Bäh säggen (sagen)«.
»Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht«
Eine der bekanntesten Gaststätten in Babelsberg zu DDR-Zeiten war der
»Potsdamer Brunnen«. Hier tafelten und tranken viele DEFA-Stars, unter
anderem natürlich auch der für seine Trinkfestigkeit nicht gerade
bekannte Schauspieler und Sänger Manfred Krug. Oftmals kam er mehrmals
am Tag, zwischen den Drehpausen, bis er sich übergeben mußte.
»Selig sind die geistig Armen«
Geht zurück auf den nazarethanischen Rabbiner Moshe Selig und seine
Familie, allesamt für ihre Dummheit bekannt. Als der Apostel Petrus
Jesus fragte, wer denn die Dööfsten in seinem Dorfe seien, bekam er als
Antwort: »Hier sind Seligs die geistig Armen«.
»Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert«
Beruht auf einem Übersetzungsfehler aus dem Englischen. Das Original
lautet: »Whosoever the Penny has airéd, tell’s Thee he’s truly weird«,
also eigentlich: Wer auch immer den Pfennig lüftet, ist wahrlich
seltsam. Der seltsame Brauch Kleingeld an der frischen Luft zu
trocknen, wurde von Mitgliedern der fundamental christlichen Sekte der
Quarker (engl. The Cheesers) betrieben. Angeblich hatten sie eine
Bibelstelle entdeckt, in der Gott durch seine Propheten Hisop und
Jeffneh vor schimmeligen Münzen warnte.
»Eulen nach Athen tragen«
Dieses Sprichwort erklärt sich im Grunde selbst. Eulen können nur
nachts getragen werden, denn tagsüber schlafen sie ja. Im Original
heißt es nämlich: Eulen nach Abends tragen. Im Mittelalter war es
besonders im burgundischen Raum üblich, zur Freiung einer Dame Hühner,
Spatzen oder eben Eulen vor ihr Schlafzimmerfenster zu stellen. Siehe
hierzu auch »Vögeln«.
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